Die innere Uhr

Der ewige Kreislauf in unseren Zellen


Bei der inneren Uhr handelt sich um einen genetisch gesteuerten Kreislauf in praktisch allen Zellen unseres Körpers, der sich tagtäglich wiederholt. Die innere Uhr ist also kein einzelnes Organ wie das Herz oder die Lunge, sondern ein Mechanismus, der in all unseren Organen zu finden ist. Eine besondere Eigenschaft der inneren Uhr ist, dass sie von ganz allein, angetrieben vom innersten unserer Zellen, dem Zellkern, läuft. Sie braucht keinen Anstoß von außen, um zu laufen, sucht aber ständig nach Umweltsignalen, um sich mit ihnen zu synchronisieren. Die Autonomie der inneren Uhr geht so weit, dass man einzelne isolierte Zellen in Kultur nehmen kann und deren Uhren laufen für lange Zeit immer weiter.

 


Im Zellkern werden spezielle Uhren-Gene—ausgehend von der DNA—in Form von messenger RNA gebildet und in das Zellzytoplasma geschickt. Dort werden dann dementsprechende Uhren-Proteine daraus gemacht, die dann wiederum, nachdem sie in den Zellkern zurückgeschleust wurden, diesen Prozess entweder antreiben oder abstellen. Dadurch ergibt sich ein Kreislauf, der ungefähr 24 Stunden benötigt, um einen Tageszyklus zu vollenden und neu zu starten. Jeder Mensch hat einen individuell spezifischen Rhythmus. Dieser kann 23 Stunden dauern, bis er neu beginnt, oder auch 25 Stunden. Man nennt diesen Mechanismus „zirkadiane Uhr“, für dessen Entdeckung 2017 der Medizin-Nobelpreis vergeben wurde. Diese Uhr läuft jeden einzelnen Tag in all unseren Zellen und sie bestimmt unsere gesamte Physiologie und auch unser Verhalten. Und zwar unser ganzes Leben lang.

 

 


Das Uhren-Orchester in unserem Körper


Die vielen biologischen Uhren, die in den Zellen und Organen unseres Körpers ticken, werden kontinuierlich aufeinander abgestimmt. Sie müssen synchron laufen, damit unser Organismus gut funktioniert, und zwar zueinander sowie zu den Umweltsignalen, die sie beeinflussen. Ihre Koordination ist ein sehr komplexer Vorgang, da einige dieser inneren Uhren auf verschiedene Umweltsignale reagieren. So wird zum Beispiel die biologische Uhr im Gehirn in erster Linie durch Licht und durch Rückkopplungssignale anderer biologischer Uhren gestellt. Die in der Leber richtet sich nach den Essenszeiten, und die innere Uhr unserer Muskulatur wird durch Bewegung gestellt. Die inneren Uhren kommunizieren ständig durch verschiedenste Botenstoffe, um miteinander im Takt zu bleiben. Die Uhr im Hypothalamus des Gehirns sendet zum Beispiel mehr als 30 verschiedene chemische Botenstoffe in einem strikten Tag-Nacht-Rhythmus aus. So ein kompliziertes System kann natürlich auch einfach durcheinandergebracht werden. Für die innere Uhr geht es in erster Linie darum, zwischen Tag (Aktivphase) und Nacht (Schlafphase) zu unterscheiden und die Körperfunktionen dementsprechend zu regulieren. Das Orchester aller dieser biologischen Uhren in unserem Körper führt schließlich zu einer ausgeprägten 24-Stunden-Rhythmik. Es gibt praktisch keine Körperfunktion, die nicht von der inneren Uhr beeinflusst wird. Beispiele sind Schwankungen der Herzfrequenz, des Blutdrucks, der Körpertemperatur und vieler Hormone wie Cortisol und Melatonin.

 

 

Lerchen- und Eulen-Uhren


Nicht jede innere Uhr läuft gleich. Bei manchen Menschen läuft die biologische Uhr ein bisschen schneller als bei anderen. Diese Menschen sind die sogenannten „Lerchen“, also die Frühaufsteher. Ihre innere Uhr braucht nicht 24 Stunden, sondern etwas weniger, um einen Tageszyklus zu vollenden. Lerchen wachen früh auf, weil die innere Uhr schon wieder aktiv werden will, bevor 24 Stunden seit dem letzten Tagesbeginn vergangen sind. Andere, nämlich die „Eulen“, haben eine langsame innere Uhr, die länger als 24 Stunden braucht, um einen Tag zu vollenden. Dadurch bleiben Eulen abends länger auf und kommen morgens schwer aus dem Bett, da der biologische Tag noch nicht vollendet ist, wenn der Wecker 24 Stunden nach dem letzten Mal wieder klingelt. Um im Einklang mit der inneren Uhr zu leben, muss man erst einmal wissen, wie schnell oder langsam die eigene innere Uhr läuft und ob man Lerche oder Eule ist oder irgendwo dazwischen. Für eine zuverlässige Aussage darüber muss eine wissenschaftlich fundierte chronobiologische Analyse durchgeführt werden. Wenn die innere Uhr und die täglichen Anforderungen wie Arbeits- oder Schulzeiten voneinander abweichen, kann es zu Schlafstörungen und Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit kommen. Die körperliche Leistungsfähigkeit wird direkt von der inneren Uhr reguliert. Lerchen haben ihren Höhepunkt mittags, während Eulen abends zur Höchstform auflaufen. Wann wir schlafbereit sind, hängt ebenfalls davon ab, ob man Lerche oder Eule ist.

 

 

"Zirkadian", ein Begriff, den Sie sich merken sollten


 Dieser Begriff stammt aus dem Lateinischen und setzt sich aus „circa“, also „um … herum“, und „dies“, dem Tag, zusammen. Der Begriff wurde in den 1950er-Jahren von dem Chronobiologen Franz Halberg geprägt, um eine Bezeichnung für die biologischen Rhythmen zu finden, die von der inneren Uhr angetrieben werden. Ein interessantes Detail am Rande ist, dass der französiche Astronom Jean-Jacques d´Ortous de Mairan bereits 1729 die endogene Natur der biologischen Uhr an einer Pflanze aus der Gruppe der Mimosen entdeckte. Fasziniert davon, dass diese Pflanze ihre fächerartigen Blätter im Sonnenlicht öffnete und in Dunkelheit schloss, beobachtete er die Pflanze weiter, nachdem er sie abgeschottet von Licht in einen Schrank gestellt hatte und fand heraus, dass die rhythmischen Blattbewegungen in konstanter Dunkelheit weitergingen. Frei übersetzt interpretierte er das so: „Die Pflanze spürt das Sonnenlicht, ohne es jemals zu sehen.“ Es dauerte dann bis in die 1930er-Jahre, also 200 Jahre, bis ein deutscher Wissenschaftler, Erwin Bünning, erstmals das Model einer inneren Uhr vorschlug, welches dann schließlich in den 1950er-Jahren vom deutschen Arzt Jürgen Aschoff und dem englischen Biologen Colin Pittendrigh experimentell bewiesen wurde. Seither sind fast 100.000 wissenschaftliche Veröffentlichungen über die innere Uhr erschienen und zurzeit kommen jährlich etwa 4.000 neue Artikel dazu. Die chronobiologische Forschung boomt.